Super Deutschland OléSchwindendes Zuschauerinteresse, harsche Kritik für überteuerte Trikots, ein Verband in der Sinnkrise – endlich bekommt der Fußball, was er verdient.Man erntet, was man sät. Und so sah sie aus, die traurige Ernte, die der Deutsche Fußball-Bund im Spätherbst 2019, gerade einmal fünfeinhalb Jahre nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft in Brasilien, einfahren durfte: Mediale und öffentliche Ohrfeigen im Vorfeld, ein aus Protest geschlossenes Fanprojekt und am Ende 33.164 Zuschauer an einem nasskalten Samstagabend zum Heimspiel gegen Weißrussland, die eine zur Jahreszeit passende Stimmung verbreiteten. Wenn es wenigstens echte Gastfreundlichkeit gewesen wäre, die dafür gesorgt hätte, dass sich die rund 100 Weißrussen im Auswärtsblöckchen gleich mehrfach Gehör verschaffen durften. Doch damit hatte das nichts zu tun. Wer wirklich für Fußball brennt, wer sich für diese Zuneigung in einem Stadion leidenschaftlich austoben möchte, der geht nicht mehr zu einem Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft. So sieht sie aus, die traurige DFB-Realität.
Mit den rein sportlichen Darbietungen, um das gleich vorweg zu nehmen, hat das nur am Rande zu tun. Sicher, die verkorkste WM 2018 steckt noch allen in den Knochen, aber die meisten Fans haben längst verstanden, dass sich diese Auswahl in einem Umbruch befindet und dass es selbst auf diesem Spitzenniveau etwas Zeit braucht, um den nächsten Titelkandidaten zu formen. Die Kritik, die regelmäßig auch auf die Spieler abgefeuert wird, ist nicht völlig unberechtigt, nur trifft sie meist die Falschen.
Die Verantwortlichen für die gegenwärtige Misere standen auch am Samstag nicht auf dem Platz. Verantwortlich sind jene Entscheider, die den WM-Titel 2014 und die damit verbundene Euphoriewelle komplett falsch eingeschätzt haben. Die da nicht schon die Zeichen der Zeit erkannt haben, sondern aus Gier, Geltungsbewusstsein oder Verblendung Profit aus der damals besten Länderauswahl des Planeten schlagen wollten. Schon damals war das Publikum bei Länderspielen ein anderes, als in den Bundesligastadien, schon damals empfand jeder halbwegs normal tickende Fußballfan den Coca-Cola-Fanclub als unglaublich lächerlich, schon damals war es eine Frechheit, was man für Trikots der Nationalmannschaft bezahlen sollte. Schon damals war der bezahlte Fußball von seiner Basis so weit entfernt wie die Erde vom Mond. Der DFB mit seiner Größe, Macht und Power hätte die Möglichkeiten gehabt, das Rad der Zeit nicht anzuhalten, aber doch eine bessere, weil basisnähere Richtung einzuschlagen.
Das, so salopp muss man das mal sagen, haben alle, die in Sachen Nationalmannschaft eine Entscheiderrolle einnehmen, grandios verkackt. »Wir müssen zusehen, dass Fußball Volkssport bleibt«, hat Leon Goretzka jüngst tapfer verkündet und damit vor allem die Nationalmannschaft gemeint. Eine Aussage, die aller Ehren wert ist, aber schon seit vielen Jahren überholt ist. Aus der immer etwas biederen DFB-Auswahl, die damit ja nur ein Spiegelbild der immer etwas biederen deutschen Gesellschaft war, wurde eine Hochglanztruppe namens »Die Mannschaft«, eine Marketingstrategie, die gerne als eine der schlechtesten in der Geschichte des deutschen Fußballs abgeheftet werden darf. Statt sich den Luxus zu erlauben, mit moderaten Ticketpreisen und bezahlbarem Merchandising eine Alternative zum aufgeblasenen Vereinsfußball zu schaffen, oder zumindest mit ein paar Handgriffen die Illusion der basisnahen Volkssportveranstaltung zu wahren, entfernte man sich mit jedem neuen Marketinggag, mit jedem peinlichen Funktionärsfehltritt, nur noch weiter von dieser Basis. Vereine wie Borussia Mönchengladbach oder Werder Bremen, die über gewachsene Kurvenstrukturen verfügt, können solchen Mumpitz vielleicht überstehen, die Nationalmannschaft lebt von ihrem Image und ihren Erfolgen. Was passieren kann, wenn das Image verhunzt wird, zeigte sich am gestrigen Abend.
Quelle & Weiterlesen: 11 Freunde