Fifa und Macht: Ein geniales SchurkenstückBeim Verbot der One-Love-Binde vollzieht die Fifa eine skrupellose Machtdemonstration. Ihrem Ruf schadet nichts mehr, ihre gefährlichsten Kritiker aber stellt sie kalt.Schon vor dem Beginn der Fußballweltmeisterschaft in Katar bewegten sich die Beliebtheitswerte der Fifa irgendwo zwischen Asbest und Wladimir Putin. Außerhalb von Fußballfunktionärskreisen hätte man vermutlich lange suchen müssen, um jemanden zu finden, der den Verband nicht intuitiv mit Korruption, Gier und Heuchelei verbindet. Nachdem die Fifa zunächst Dänemarks Team die Nutzung von Trainingsshirts mit der Aufschrift "Menschenrechte für alle" untersagte und dann mehreren Mannschaften – darunter auch der deutschen – das Tragen der One-Love-Kapitänsbinde verbot, scheint das Image der Funktionäre nun auf einem Allzeittief. Am Fall der One-Love-Binde wird indes auch sehr gut deutlich, warum die Fifa dennoch so eine unangefochtene Macht- und Geldmaschine ist – und es absehbar wohl auch bleiben wird. Den nun eingetretenen Streisand-Effekt dürfte sie dabei einkalkuliert haben: Dass sich mindestens in den Ländern, deren Teamkapitäne die Binde tragen wollten oder sollten, nun erst recht die mediale Aufmerksamkeit auf die Themen Diversity und Menschenrechte richtet, war ohnehin klar. Und spätestens seit diese Binden im Vorfeld des Turniers als eine Schwundform jener Regenbogenfahne kritisiert wurden, die etwa DFB-Kapitän Manuel Neuer bei früheren Spielen getragen hatte, war klar, dass sie den Verbänden keine Anerkennung bringen. Das hat sich nun lediglich gesteigert – und zwar im Sinne der Fifa.
Bei deren Vorgehen handelt sich um eine geradezu machiavellistische Machtdemonstration, die gleichermaßen skrupellos wie effektiv ist. Mit der jüngsten Aktion hat die Fifa alle jene Kritiker, die ihr machtpolitisch tatsächlich am gefährlichsten werden könnten – nämlich die großen nationalen Fußballverbände Westeuropas –, komplett unglaubwürdig gemacht. Vor der WM hatten sich der deutsche, englische und französische Fußballverband nicht nur zum Tragen der One-Love-Binde bekannt, sondern auch vielfach die Menschenrechtssituation in Katar kritisiert. Nun stehen sie, die sich dem Diktat der Fifa gebeugt haben, als zahnlose Heuchler dar. Und die Fifa selbst auch nicht viel schlimmer als ohnehin schon. Denn ein schlechteres Image als jenes zwischen Asbest und Putin kann sie ja eh nicht mehr bekommen. Apropos Putin: Das Vorgehen der Fifa findet bei diesem sein jüngstes historisches Vorbild. Kurz vor dem Überfall der Ukraine wandte dieser nämlich eine ganz ähnliche Strategie an. Indem er seine Kamarilla aufmarschieren ließ und jeden in einer schulmeisterlichen Befragung die Rede vom vermeintlich notwendigen Präventivkrieg wiederholen ließ, schweißte er seine mitunter peinlich berührten Gefolgsleute noch stärker an sich. Nach dem Motto: Wird man Teil der Lüge, wird man Teil des Systems.
Doch während Putin eine bisweilen groteske Inszenierung veranstaltete, ging die Fifa vergleichsweise geschickter vor. Betrachtet man den Weltfußballverband für einen Moment wie einen shakespeareschen Schurken, müsste man ob dessen handwerklicher Raffinesse geradezu fasziniert sein. So verfügte die Fifa nicht nur über das perfekte Timing, indem sie das Verbot der One-Love-Binde erst im bereits laufenden Turnier aussprach und Fans wie Verbände damit gleichermaßen überrumpelte. Auch ist die Erpressung selbst geradezu mafiös ausgeführt. Denn offenbar blieben die Funktionäre in puncto potenzieller Bestrafung vage. Dass man nicht klar kommunizierte, ob beim Tragen der Binde "nur" eine Gelbe Karte oder gar Punktabzüge folgen, scheint wie die Fifa-Version von "Guck dich lieber zweimal um, wenn du demnächst auf die Straße gehst". Ebenso wusste die Fifa bei dieser Aktion den moralischen Fortschritt auf dialektische Weise für die eigene Sache zu nutzen. Denn zweifellos ist die moralische Sensibilisierung für Menschenrechtsverletzungen bei Verbänden, Spielern, Fans in den letzten Jahrzehnten deutlich gewachsen. In der heutigen FAZ erinnert Reinhard Müller etwa noch einmal daran, wie gleichgültig bis begeistert die deutsche Nationalmannschaft 1978 auf die Militärdiktatur im Gastgeberland Argentinien reagierte. Während Mittelfeldstar Manfred Kaltz bekannte: "Nein, belasten tut mich das nicht, dass dort gefoltert wird", bemerkte der damalige DFB-Präsident Hermann Neuberger, mit der Machtübernahme der Generäle sei die "Wende zum Besseren" eingetreten. Dass Bundestrainer Helmut Schön im Mannschaftsquartier dann obendrein noch freudig Hans-Ulrich Rudel empfing, ein nach Argentinien emigrierter Rechtsextremist und der höchstdekorierte Soldat Nazideutschlands, verwundert kaum noch.
Aber gerade weil die moralische Erwartung heute eine andere ist und auch der westeuropäische Durchschnittsfan die Menschenrechtszustände in Katar für hochproblematisch halten dürfte, war die Fallhöhe für die nationalen Verbände umso größer. Oder anders gesagt: Weil die moralische Messlatte dieser Tage vergleichsweise hoch liegt, ist der DFB mit seinem Einknicken nun umso tiefer gestürzt. Daran ist dieser natürlich auch selbst schuld, immerhin hätte man auch einfach jedwede Strafe riskieren können. Dass den westeuropäischen Verbänden dafür dann doch der Mut fehlte, hatte die Fifa immerhin richtig eingeschätzt – und gnadenlos ausgenutzt. Denn nun stehen DFB und Co im Zentrum der Kritik, während sich die Fifa die Hände reibt und eine potenzielle Entmachtung des Weltfußballverbands ferner denn je scheint. Wobei immerhin nicht völlig ausgeschlossen ist, dass die Fifa den Bogen diesmal wirklich überspannt hat. Aber damit dies für sie wirklich spürbare Konsequenzen hätte, müssten schon Abermillionen jener Fans, die den Fußball eigentlich lieben, den Fernseher abschalten. Das ist in dieser Dimension eher nicht zu erwarten und womöglich auch zu viel verlangt. Von den nationalen Verbänden dürfte hingegen absehbar keine wirksame Kritik zu erwarten sein. Denn indem die Fifa deren Rückgratlosigkeit so teuflisch raffiniert vorgeführt hat, wurden diese argumentativ weitestgehend entwaffnet und damit noch unglaubwürdiger, als sie eh schon waren. Das ist bereits jetzt einer der großen moralischen Schäden, der von dieser WM bleiben wird.
Quelle --->
https://www.msn.com/de-de/finanzen/top- ... 5261ba1779Das Original gibt es dort --->
https://www.zeit.de/kultur/2022-11/fifa ... r-one-loveEcht harter Tobak, aber absolut Nagel auf Kopf, Arsch auf Eimer, etc.
Dass Zeit-Online dieses Traktat erstens im Kulturressort und zweitens hinter einer Bezahlschranke versteckt, sagt aber auch schon wieder Einiges aus